WESTWERK.
Admiralitätstr. 74
20459 Hamburg
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keiten Westwerks sind barrierefrei
zu erreichen.
Westwerk wird freundlich unter-
stützt von der Behörde für
Kultur und Medien Hamburg.
Westwerk ist
Mitglied im
Belarus befindet sich im kulturellen und demokratischen Aufbruch. Jahrelang wurde das Land in den deutschen Medien als die »letzte Diktatatur Europas« bezeichnet. Im Zuge der Proteste 2020 entstand eine neue Aufmerksamkeit für das friedliche und mutige Aufbegehren der Zivilbevölke-rung gegen die Regierung. Die Proteste haben solidarische Gemeinschaften und neue künstlerische Allianzen entstehen lassen. Die Ausstellung reflektiert aus unterschiedlichen Positionen die gesellschaftspolitischen und kulturellen Transformationsprozesse in Belarus.
Ausgehend von einer offenen Ausschreibung werden die belarusischen Künstler:innen Tasha Arlova, eeefff (Dzina Zhuk und Nicolay Spesivtsev), Ihar Hancharuk, Anastasia Mirontsava, Daria Sazanovich/Sheeborshee, Varvara Sudnik und Aliaxey Talstou im Westwerk ihre Arbeiten zeigen.
In der Ausstellung werden die Herrschaftsbeziehungen
der Vergangenheit hinterfragt und deren Spuren bis in die Gegenwart verfolgt. Dabei stellen sich wiederkehrende Fragen: Auf welche Weise wird Gewalt ausgeübt, inszeniert, medial verbreitet und historisch legitimiert und was kann
ihr entgegensetzt werden? Mit ihren Arbeiten eröffnen die Künstler:innen unterschiedliche Perspektiven auf die bela-rusische Lebensrealität, von der persönlichen Alltagsbewäl-tigung bis hin zur dokumentarischen Auseinandersetzung mit medialen, ökonomischen und politischen Verhältnissen.
Als Auslöser der Proteste gelten vor allem der Vorwurf des Wahlbetrugs, aber auch das miserable Krisenmanagement während der Corona-Pandemie. Diese trugen zur Entwick-lung der demokratischen Bewegung bei und formten Unter-stützungsstrukturen. Der Ausstellungstitel nimmt auf die Anfänge der Protestbewegung Bezug und verweist auf protestierende und versehrte Körper, aber auch auf den Prozess der Heilung.
Die Wechselwirkungen von Kunst und politischem Aktivismus treten in Belarus besonders zu Tage. Zahlreiche Ausstellungsorte wurden geschlossen und Künstler:innen inhaftiert oder durch gewaltvolle Repressionen zur Emi-gration gezwungen. Dennoch nimmt der kreative und künstlerische Protest nicht ab, sondern entwickelt neue Strategien im Umgang mit der Zensur: durch digitale Veröffentlichungsformate, den Ausbau von Vernetzungs-strukturen und dem Ausloten der Grenzen von Zensur.
Die Ausstellung soll auf eine Zukunft weisen, getragen
von der Hoffnung auf Wandel. Ein Rahmenprogramm
mit Künstler:innengespräch, Konzert und Filmscreening kontextualisiert die Ausstellung und beleuchtet das Spezifische der kulturellen Prozesse in Belarus.
Die Kuratorinnen:
Kristina Savutsina (*1989 in Riga, lebt und arbeitet
in Hamburg). Die Künstlerin beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit gesellschaftlichen Ordnungspolitiken und
deren konkreten Ausprägungen in Belarus. Sie machte 2011 ihr Diplom in Kulturwissenschaften an der Belarusischen Staatsuniversität für Kultur und Kunst, Minsk, und studiert seit 2015 Film und Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste, Hamburg. Ihre Arbeiten wurden u. a.
auf der 7th Triennial of Photography (2018) in Hamburg und in der Ausstellung »Diktatur und Bettgeflüster« (2018) Im Goldenen, Düsseldorf, gezeigt. Zudem kuratierte Savutsina 2019 zwei Ausstellungen im Kunstraum der Wendenstraße 45, Hamburg und das Programm des »Kurzfilmkeller« (2017) im Projektraum der Karolinenstraße. Ihr Film »Khans Leib« feierte seine Weltpremiere beim Internationalen Film Festival Visions du Réel in Nyon.
Marie Kuhn (*1991 in Berlin, lebt und arbeitet in
Hamburg) beschäftigt sich sowohl theoretisch als auch
praktisch mit soziologischen, feministischen, künstlerischen
sowie kulturpolitischen Positionen. Sie studierte Kultur-wissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg
und arbeitet als kuratorische Assistenz im Kunstverein Harburger Bahnhof.
Die Ausstellung wird gefördert von der Kulturbehörde Hamburg, der Hamburgischen Kulturstiftung und der Liebelt-Stiftung, Hamburg.
Die Künstler:innen
Tasha Arlova (*1989 in Vitebsk, Belarus, lebt und arbeitet in Amsterdam) studierte bis 2012 an der Staatlichen Poly-technischen Universität Sankt-Petersburg. Derzeit studiert Arlova in Amsterdam an der Gerrit Rietveld Academie Foto-grafie und Kunst. In ihren filmischen Arbeiten, aber auch durch Publikationen und kuratorische Tätigkeit reflektiert Arlova die politische Situation in Belarus und das Leben
im Exil.
Die Künstlerin und Science-Fiction-Autorin Dzina Zhuk und der Künstler und Informatiker Nicolay Spesivtsev (beide geboren in Minsk, leben und arbeiten in Minsk und Moskau) studierten gemeinsam Kunst und gründeten 2013 die Gruppe eeefff. Das Duo untersucht die Auswirkungen von Techno-logien auf den Menschen und auf Wirtschaftssysteme und erprobt die Möglichkeiten einer alternativen Zukunft. Hierzu kombiniert eeefff künstlerische Praktiken mit Informatik, Wirtschaftswissenschaften, Science-Fiction und erstellt Software- und Hardware-Hacks. Durch performative Seminare, Online-Interventionen und öffentliche Aktionen kontextualisiert eeefff die digitale Stadtinfrastruktur und problematisiert Mensch-Maschine-Interaktionen im Kontext der Etablierung komplexer autonomer KI-Systeme.
Ihar Hancharuk (*1986 in Baranowitschi, Belarus, lebt
und arbeitet ebenda) hat an der Staatlichen Linguistischen Universität Minsk und der Adam-Mickiewicz-Universität Posen studiert. In seinen Fotografien und Videos befasst
sich Hancharuk mit Themen wie nationaler Identität, dem kollektiven Gedächtnis, Massenmedien und dem Umgang
mit Gewalt in Belarus.
Anastasia Mirontsava (*1996 in Torguny, Belarus, ist seit 2020 in politischer Gefangenschaft in Belarus) studierte vor ihrer Verhaftung im letzten Semester Malerei an der
Staatlichen Kunsthochschule in Minsk und wurde infolge
ihrer Abwesenheit exmatrikuliert. Mirontsava wurde aufgrund der Teilnahme an einer friedlichen Demonstration zu zwei Jahren Haft verurteilt. Aus dem Gefängnis heraus übergab
sie Zeichnungen und Papierobjekte an ihre Freundin Basia Janowskaya. Janowskaya reichte die Arbeiten für die Ausstel-lung ein. Sie handeln vom Alltag im Gefängnis und sind aus beschränkten Mittel wie Toilettenpapier und Zahnpasta hergestellt.
Daria Sazanovich (*1990 in Buda-Kaschaljowa, Belarus, lebt und arbeitet in Bremen) ist auch unter dem Namen Sheeborshee bekannt. Sie studierte bis 2010 Geschichte an der Staatlichen Pädagogischen Universität in Minsk, anschließend Visuelles Design und Medien an der European Humanities University in Vilnius und macht derzeit ihren Master an der Universität der Künste in Bremen. Sie arbeitet als Designerin und Illustratorin für unabhängige Medien und NGOs in Belarus. In ihren multimedialen Projekten setzt sie sich mit politischen Themen und unterschiedlichen Formen der Unterdrückung auseinander.
Varvara Sudnik (*2001 in Stolbtsy, Belarus, lebt und arbeitet in Minsk) studierte an der staatlichen Lehranstalt »Gymnasium-College der Künste I. O. Akhremtschik«.
Sie nahm an Künstlerresidenzen und informellen Bildungs-programmen teil. Ihre Kunst zielt auf Unsichtbares und Unausgesprochenes: den Kapitalismus, die wachsende
Angst, Müdigkeit und Erschöpfung. In ihrer Auseinander-setzung mit den Protesten in Belarus vermischt sie Kinder-
geschichten mit realen Ängsten.
Aliaxey Talstou (geboren in Minsk, Belarus, lebt und arbeitet in Minsk und Berlin) ist Künstler, Kurator und Autor. In seinen Filmen, Texten und Performances setzt er sich mit der belarusischen Geschichte und der aktuellen politischen Situation auseinander. Talstou wird im September nach Hamburg ziehen, um Kunst an der HfbK zu studieren.
Im Jahr 2016 erlangte Talstou mit der institutionskritischen Arbeit »Lasunak« (»Delicacy«) in Belarus Bekanntheit. Talstou verklagte das Nationale Zentrum für zeitgenössische Kunst, nachdem seine Forderung über die Offenlegung des Samm-lungsbestands und der Finanzierung vom Kulturministerium abgelehnt wurde. 2017 arbeitete er als künstlerischer Leiter
des Zentrums für Kultur und Bildung CECH in Minsk. Seit 2016 ist er Kurator von Ausstellungen und Kulturprojekten v
on »Human Constanta«, einer Menschenrechtsorganisation, die sich mit Problemen von Geflüchteten an der belarusisch-polnischen Grenze in Brest beschäftigt.